Predigt · Rogate · 25. Mai 2014 · Pfarrerin Ruth Misselwitz
2.Mose 32, 7 – 14
Liebe Schwestern und Brüder,
Mose ist nun schon seit 40 Tagen auf dem Berg Sinai im Gespräch
mit Gott.
Nachdem Gott ihm den Auftrag erteilt hat, sein Volk aus der
Knechtschaft zu befreien, führt Mose sie durch die Wüste.
Es ist kein leichter Weg.
Durst und Hunger, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, Tod und
Verderben sind die ständigen Wegbegleiter in der Wüste.
Immer wieder meutert das Volk und beklagt sich bei Mose über den
diesen so unbegreiflichen und unsichtbaren Gott.
Aber immer wieder führt Mose sie aus den Engpässen heraus,
legt er Fürbitte bei Gott ein
und das Volk erfährt eine wunderbare Bewahrung in all den Gefahren
der Wüste.
Denn Gott hat seinem Volk versprochen, sie aus dem Sklavenhaus
Ägypten in das versprochene Land zu führen, das er schon ihren
Vätern und Müttern in alter Zeit verheißen hat.
Liebe Schwestern und Brüder, diese Auszugs- und
Wüstenwanderungsgeschichte gehört zu den wichtigsten
theologischen Überlieferungen im Alten Testament.
In dieser Geschichte offenbart sich Gott seinem Volk Israel als ein
Gott, der aus Gefangenschaft und Versklavung befreit.
Der Gott Israels ist ein Gott der Befreiung – diese jüdische
Theologie, aus der Jesus seinen Glauben schöpfte und die die
Grundlage der christlichen Theologie bedeutet, ist bis heute aktuell.
Die Theologie der Befreiung, die in den 70/80ziger Jahren in
Lateinamerika entstand, und in der sich viele Priester mit den armen
und unterdrückten Teilen des Volkes gegen Ungerechtigkeit und
Ausbeutung verbündeten,
nahm aus dieser Geschichte ihre Kraft.
Der Gott Israels ist ein Gott, der Unterdrückung und Versklavung
nicht duldet,
der sein Volk befreit aus allen diesen Nöten
und Pharaonen, Kaiser und Militärs in die Knie zwingen kann.
Der Gott Israels ist ein Gott der Gerechtigkeit und der Freiheit –
das ist die Botschaft dieser Auszugsgeschichte.
Doch der Weg aus Versklavung in die Freiheit ist ein ebenso
gefährlicher wie unbequemer Weg,
das gilt im Großen wie im Kleinen,
im gesellschaftlichen wie im privaten Leben.
Das gelobte Land wird einem nicht einfach so in den Schoß gelegt,
da gilt es eine Wüste zu durchwandern,
die Gefährdung – aber auch Reinigung bedeutet.
Und die Versuchung, angesichts der vielen unbekannten und nicht
vorhersehbaren Ereignisse,
die Versuchung wieder umzukehren und Sicherheit in den alt
gewohnten Werten und Gepflogenheiten zu suchen, ist groß.
So geschieht das im Großen wie im Kleinen.
So geschah es auch dem Volk Israel in der Wüste.
Ein wichtiger Meilenstein hin zum gelobten Land ist die Übergabe
der 10 Gebote am Gottesberg Sinai.
Sie sind die Richtschnur und Garantie für eine gerechte, eine
friedliche Gesellschaft.
Sie sind ein Geschenk Gottes an sein Volk,
bei Einhaltung dieser Vorschriften, wird es dem Volk gut gehen,
bei Verstoß wird es ins Chaos abrutschen.
Mose ist nun schon 40 Tage auf dem Berg und das Volk wird unruhig.
Weder Mose noch Gott ist zu sehen.
War das Ganze ein Weg in die Sackgasse?
Sind sie einem Verführer und Blender auf den Leim gegangen?
Und wieder brechen die Zweifel auf,
sie bäumen sich auf und suchen Zuflucht in ihren alten Sicherheiten –
den sichtbaren und greifbaren Göttern ihrer Vergangenheit.
Der Stier – Symbol der Stärke und der Fruchtbarkeit –
bis heute steht er an der Börse für diese Kraft,
bis heute wird er angebetet und es wird ihm geopfert –
der Stier muss wieder her.
Und sie bauen sich aus dem Gold, das sie tragen, selber einen Gott –
beten ihn an und behaupten, er hätte sie aus Ägypten befreit.
Der Zorn Gottes über so viel Dummheit und Undankbarkeit scheint
gnadenlos.
Geh, Steig hinab, Mose, zu deinem Volk, denn es hat schändlich
gehandelt.
Nun ist es nicht mehr sein, sondern Moses Volk,
wie bei einem enttäuschten Vater, der die Mutter bezichtigt, dass ihre
Kinder so missraten sind.
Vertilgen will er sie.
Und Gott macht dem Mose ein verlockendes Angebot:
Dafür will ich dich zum großen Volk machen.
Doch Mose widersteht diesem Angebot: „Warum will dein Zorn
entbrennen über dein Volk, das du mit großer Kraft und starker Hand
aus Ägyptenland geführt hast?“
Ja, es ist Moses Volk, von ihm kommt er her, in ihm sind seine
Wurzeln,
von ihm will und kann er sich nicht distanzieren.
Mose solidarisiert sich mit seinem halsstarrigen und wankelmütigen
Volk,
er will es nicht dem Verderben preisgeben,
es ist doch sein Fleisch und Blut.
Doch er erinnert Gott daran – es ist auch dein Volk.
Liebe Schwestern und Brüder, das Ringen des Mose mit Gott um das
Schicksal seines Volkes ist herzzerreißend.
Diese Geschichte ist in die jüdisch-christliche Tradition eingegangen
als eine Geschichte, in der sich Gott von einem Menschen
von seinem berechtigten Zorn über die menschliche Dummheit
abbringen lässt.
Gott ist also zornig, aber auch barmherzig,
er lässt sich beeinflussen von einem Gebet ,
am Ende gereut es ihn, dass er so zornig war.
Liebe Schwestern und Brüder, all das sind wohl sehr menschliche
Regungen und Verhaltensweisen.
Können wir diese so ohne weiteres auf Gott übertragen?
Engen diese unsere menschlichen Kategorien nicht Gott ein
und machen wir nicht so aus ihm einen griffigen und für unsere
Bedürfnisse handhabbaren Götzen?
Liebe Schwestern und Brüder,
Wir Menschen versuchen Gott zu begreifen und ihm nahe zu
kommen, indem wir uns über ihn Geschichten erzählen.
Dass diese Geschichten von Menschen erzählt werden, dürfen wir
dabei nicht aus den Augen verlieren.
Nicht Gott ist es, der dieses oder jenes sagt, sondern Menschen
erzählen diese Geschichten über ihn.
Und unsere Aufgabe ist es nicht, beweisen zu müssen, dass das alles
so und nicht anders gesagt wurde und geschehen ist,
sondern unsere Aufgabe ist es, nach dem zu suchen, was die Erzähler
uns mit dieser Geschichte über Gott sagen wollen.
Wir haben nach der theologischen Bedeutung zu suchen.
Und da kann man durchaus mehrere Bedeutungen finden.
Ich habe in dieser Geschichte die Aussage gefunden, dass Gott ein
treuer Gott ist.
Dass wir in unserem Leben durchaus die Erfahrung machen, dass wir
uns von Gott verlassen fühlen,
dass wir ihn so weit entfernt und so unsichtbar erleben,
dass wir lieber wieder zu den alten Sicherheiten greifen
und uns an den alten Götzen wie Reichtum, Stärke und Erfolg
orientieren,
diesen Werten alles, was wir haben, opfern
und dadurch die Freiheit, die uns Gott geschenkt hat,
wieder verspielen.
Das Gebet mit Gott – das Ringen mit ihm, das Streiten und Hadern,
das Klagen und Weinen verändert nicht nur Gott – es verändert
vielmehr uns.
Im Gebet kommen wir Gott –
und das bedeutet unseren lebendigen Wurzeln –
immer näher.
Im Gebet schöpfen wir aus diesen Wurzeln wieder neue Kraft und
neue Erkenntnisse.
Im Gebet finden wir wieder Zugang zu dieser lebendigen Quelle,
die sich in uns ergießen möchte.
Im Gebet erfahren wir wieder, dass Gott ein treuer Gott ist
und das weder ein goldenes Kalb
noch sonst irgend eine Macht der Welt uns aus der Sklaverei befreien
kann, als allein der lebendige und liebende Gott.
Und so dürfen wir in das Psalmwort mit einstimmen, das über diesem
Sonntag steht und das wir auch als Taufspruch heute gehört haben:
Gelobt sei Gott, der mein Gebet nicht verwirft, noch seine Güte von
mir wendet. Amen.