Predigt · 13. Sonntag nach Trinitatis · 25. August 2013 · Pfarrerin Ruth Misselwitz
Matthäus 6, 1 – 4
Liebe Schwestern und Brüder!
Dreimal ist hier von „Almosen“ die Rede.
Wir sagen heute meist Opfer oder Spende dazu.
Ich möchte aber einmal ganz bewusst dieses alte, ungebräuchliche
Wort benutzen: Almosen.
Denn es heißt, wenn wir seinen Wortursprung im Griechischen
suchen: „Barmherzigkeit, Erbarmen“.
Und ich finde, damit sind wir dem Sinn dieser Worte aus der
Bergpredigt schon sehr nah!
Heute hat dieses Wort eher einen negativen Geschmack, weil wir
dahinter eine Geste vermuten, die gönnerhaft und von oben herab
geschieht.
Aber das Almosengeben hat eine alte Tradition in vielen Religionen
und Kulturen: im Judentum, im Islam – da ist es eine der 7 Säulen
des Islam,
im Buddhismus – da leben die bettelnden Mönche von den Almosen
der Menschen.
Die Zuwendung zu einem Menschen, der in Not ist, mit materieller
oder moralischer Hilfe gehört zu den elementarsten Eigenschaften
einer humanitären Gesellschaft.
An der Bereitschaft Not zu lindern, die Schere zwischen Arm und
Reich zu verringern und das Leid der Benachteiligten an das eigene
Herz herankommen zu lassen,
an dieser Bereitschaft ist die Humanität – oder ich würde sagen – die
Christlichkeit einer Gesellschaft zu messen.
Jesus kritisiert in der Bergpredigt nicht das Almosengeben, sondern
die Art und Weise wie das getan wird.
Wenn es nur um unser frommes Selbstbewusstsein geht, das gern
„opfern“ möchte, vielleicht gar, um Gottes Wohlgefallen dafür
zurückzuerhalten.
Wenn es um die öffentliche Anerkennung geht, um einen guten Stand
in der Gesellschaft zu bekommen
oder wenn man mit seinen Spenden die anderen beschämen und unter
Druck setzen möchte.
Nein: „Wenn du aber Almosen gibst…“, sagt Jesus, „so lass deine
linke Hand nicht wissen, was deine rechte tut“
Und indem er das sagt, meint er ein Herz, das um des anderen Willen
schenkt, ohne jede Berechnung, nicht um irgendetwas für sich selbst
damit zu gewinnen, sondern nur, dass ein anderer etwas davon hat,
sich freut, glücklicher wird und besser leben kann.
Ich möchte ihnen dazu eine Geschichte erzählen:
Zwei Brüder wohnten einst auf dem Berg Morija. Der jüngere war
verheiratet und hatte Kinder, der ältere war unverheiratet und allein.
Die beiden Brüder arbeiteten zusammen, sie pflügten das Feld
zusammen und streuten zusammen den Samen aus.
Zur Zeit der Ernte brachten sie das Getreide ein und teilten die
Garben in zwei gleichgroße Stöße: für jeden einen Stoß Garben. Als
es Nacht geworden war, legte sich jeder der beiden Brüder bei seinen
Garben nieder, um zu schlafen. Der Ältere aber konnte keine Ruhe
finden und sprach in seinem Herzen: Mein Bruder hat eine Familie,
ich dagegen bin allein und ohne Kinder und doch habe ich gleich
viele Garben genommen wie er. Das ist nicht recht. Er stand auf und
nahm von seinen Garben und schichtete sie heimlich und leise zu den
Garben seines Bruders. Dann legte er sich wieder hin und schlief ein.
In der gleichen Nacht nun, eine geraume Zeit später, erwachte der
Jüngere. Auch er musste an seinen Bruder denken und sprach in
seinem Herzen: Mein Bruder ist allein und hat keine Kinder. Wer wird in seinen alten Tagen für ihn sorgen? Und er stand auf, nahm
von seinen Garben und trug sie heimlich und leise hinüber zu dem
Stoß des Älteren.
Als es Tag wurde, erhoben sich die beiden Brüder, und jeder war
erstaunt, dass die Garbenstöße die gleichen waren wie am Abend
zuvor. Aber keiner sagte darüber zum anderen ein Wort.
In der zweiten Nacht wartete jeder ein Weilchen, bis er den anderen
schlafend wähnte. Dann erhoben sie sich, und jeder nahm von seinen
Garben, um sie zum Stoß des anderen zu tragen. Auf halbem Weg
trafen sie plötzlich aufeinander, und jeder erkannte, wie gut es der
andere mit ihm meinte. Da ließen sie ihre Garben fallen und
umarmten einander in herzlicher und brüderlicher Liebe. Gott im
Himmel aber schaute auf sie hernieder und sprach: Heilig ist mir
dieser Ort. Hier will ich unter den Menschen wohnen!
Nicht wahr, eine schöne Geschichte? Sie kann unser Herz rühren –
und das soll sie ja auch, denn es geht heute um „Almosen“ – „Barmherzig-
keit“, das „Erbarmen unseres Herzens“ eben.
Und es ist wirklich alles darin, was uns Jesus empfiehlt: „Habt acht
auf eure Frömmigkeit, dass ihr die nicht übt vor den Leuten, um von
ihnen gesehen zu werden…“
Heimlich, in der Nacht machen sich die Brüder daran, einer des
anderen Garben zu vermehren. Niemand soll es sehen, der Bruder
nicht, die Leute schon gar nicht.
„Wenn du nun Almosen gibst, sollst du es nicht vor dir ausposaunen
lassen, wie es die Heuchler tun… damit sie von den Leuten gepriesen
werden…“ Nein, sie sprechen auch nicht darüber. Es liegt ihnen nicht
daran, dass sie gelobt werden, dass öffentlich bekannt wird, wie gut
sie es mit ihrem Bruder meinen, denn diese „…haben ihren Lohn
schon gehabt.“
Soll man denn gar nicht mehr Lob und Anerkennung aussprechen,
wenn Menschen sich engagieren?
Liebe Schwestern und Brüder, wir wissen wie Menschen verletzt sein
können, wenn sie überhaupt keinen Dank ernten für ihre Mühe, die
sie in die Familie, in eine Gemeinde oder einen Verein investieren.
„Da hab ich nun mein Leben lang mich aufgeopfert und keinen Dank
dafür erhalten“ – wie oft hören wir das von enttäuschten Eltern.
Ja, das kann unter Umständen bitter sein, wenn überhaupt keine
Reaktion kommt.
Aber der Hinweis Jesu, eben nicht mit Dank und Anerkennung zu
rechnen, weist auf diese Barmherzigkeit hin, die all das tut, weil sie
es einfach tun muss, weil das Herz nicht anders kann.
„Wenn du aber Almosen gibst, so lass deine linke Hand nicht wissen,
was die rechte tut, damit dein Almosen verborgen bleibe; und dein
Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir’s vergelten.“
Ja, liebe Schwestern und Brüder, das ist für ich ein ganz wichtiger
Satz. Und ich denke nicht, dass Jesus es so meint, dass wir erst im
Himmel dafür belohnt werden.
Schauen wir noch mal auf die Geschichte mit den zwei Brüdern, da
heißt es: „… jeder erkannte, wie gut es der andere mit ihm meinte. Da
ließen sie ihre Garben fallen und umarmten einander in herzlicher
und brüderlicher Liebe.“
Liebe Schwestern und Brüder,
Das ist wohl das Schönste, das Größte, was uns widerfahren kann,
wenn wir uns füreinander in herzlicher Liebe öffnen.. Das ist ein
großer, ein reicher Lohn! Da wird uns gut vergolten.
Und dieser Lohn ist um so reicher, weil wir nicht damit gerechnet
haben, weil wir diesen nicht einfordern, weil wir denken, er steht uns zu.
Denn die Liebe, die wir gern, nicht des Lohnes wegen, einem
Mitmenschen schenken, die bleibt, die kommt auch zurück und die
wächst sogar noch im hin und her der Liebe, sie verdoppelt und
vervielfältigt sich in allen Herzen, die an ihr beteiligt sind und von ihr
entfacht werden.
Vielleicht wird Gott ja auch noch einmal in seiner Ewigkeit unsere
Taten der Liebe belohnen. Auf jeden Fall aber wird all unser Tun und
Lieben nicht umsonst sein. Es ist aufgehoben in Gottes Ewigkeit.
Am Ende der Geschichte heißt es: „Gott im Himmel aber schaute auf
sie hernieder und sprach: Heilig ist mir dieser Ort. Hier will ich unter
den Menschen wohnen!“
Liebe Schwestern und Brüder, ich glaube, dass wir im Geben von
echten „Almosen“, wenn wir einander wirklich unsere „Barm-herzigkeit“
schenken und unsere geschwisterliche Liebe zuwenden, schon
in dieser Welt ein Stück des Reiches Gottes bauen.
Denn wo diese Liebe ist, da ist Gott.
Und ich glaube auch, dass einmal in Gottes Himmel nur dieses eine
Gesetz gelten wird: Die herzliche, geschwisterliche Liebe! Wo wir
diesem Gesetz schon hier und heute zur Geltung verhelfen, da wird
auch Gott selbst sein.
Lasst uns Gottes Gesetz der Liebe, lasst uns dem Reich Gottes mitten
in dieser Welt auf die Spur kommen, indem wir einander gern und
von Herzen echte „Almosen“ schenken: „Barm-herzig-keit“ und
Liebe, die bei unseren Nächsten wieder Erbarmen und Liebe wecken
will und ein Stück des Himmels auf die Erde holt.
Amen.