Predigt · Reminiszere · 20. März 2011 · Pfarrerin Ruth Misselwitz
Matthäus 12, 38 – 43
Liebe Schwestern und Brüder,
wer von uns würde nicht gerne ein Zeichen sehen,
ein eindeutiges untrügliches Zeichen der Gegenwart Gottes und seiner
Herrlichkeit?
Wir Menschen sind hungrig nach solchen Zeichen und Wundern.
Es ist so schwer an diesen unsichtbaren Gott zu glauben,
der sich hinter so viele Geheimnisse versteckt
und so schwer zu erkennen ist.
Was geben wir nicht alles für ein Wunder?
Da erscheint die Jungfrau Maria einem jungen Mädchen,
hier tropft Blut aus dem Korpus Christi,
dort heilt die schwarze Madonna schlimme Krankheiten.
Wir pilgern zu Scharen zu solch heiligen Stätten und meinen, so dem
Herrgott etwas näher zu sein.
„Meister, wir möchten gern ein Zeichen von dir sehen“ –
mit diesen durchaus respektsvollen Worten diskutieren die Pharisäer
und Schriftgelehrten mit Jesus.
Wir würden ja gerne glauben, was du sagst,
denn dumm ist es ja nicht und sicher auch nachdenkenswert,
aber uns fehlen die Beweise,
womit kannst du dich autorisieren?
Was kannst du tun, damit wir wirklich restlos überzeugt sind?
Jesus wehrt mit schroffen Worten die Zeichenforderung der Pharisäer
und Schriftgelehrten ab.
„Ein böses und abtrünniges Geschlecht fordert Zeichen,
aber es wird ihm kein Zeichen gegeben,
es sei denn das Zeichen des Propheten Jona. – Und siehe, hier ist mehr
als Jona“ – so seine Antwort.
Jesus weist auf Jona, der von Gott den Auftrag, erhält das heidnische
Volk in der Stadt Ninive zur Umkehr zu rufen,
weil sonst Gott diese Stadt dem Untergang preisgeben würde.
Und das unglaubliche geschieht:
Die Menschen in Ninive hören auf die Bußpredigt des Jona,
kehren um von ihrem bösen Treiben und Gott verschont die Stadt.
Und ein zweites Beispiel hält er seinen Gegnern entgegen:
Die Königin von Süden kam vom Ende der Erde um Salomos
Weisheit zu hören – und siehe – hier ist mehr als Salomo.
Die heidnischen unwissendenVölker werden hier den schriftkundigen
Bibellesern gegenüber gestellt.
Sie konnten die Zeichen Gottes besser deuten,
als die, die im Besitz der Heiligen Schriften sind
und unmittelbar vor dem größten Zeichen stehen –
dem Menschensohn –
sehend, aber dennoch blind,
hörend, aber dennoch taub.
Sie können und wollen es nicht glauben,
dass Gott sich in diesem unscheinbaren Menschen,
einem umherziehenden Rabbiner von ärmlicher Herkunft und Gestalt,
dass Gott sich der Welt in diesem Menschen offenbart.
Ihre Gottesvorstellungen sind von ganz anderer Natur –
sie erwarten einen glanz- und machtvollen göttlichen Auftritt,
umgeben von Zeichen und Wundern, von Glanz und Gloria.
Und da steht der Menschensohn – klein und bescheiden –
ohne Insignien der Macht und Herrschaft,
allein mit dem Angebot der Liebe, der Freiheit und der
Gewaltlosigkeit.
Ein bisschen mehr Zeichenhaftes könnte man doch erwarten.
Liebe Schwestern und Brüder,
wir Menschen sind leider so veranlagt, dass wir blind sind für die
Zeichen der Zeit und für die Wunder Gottes,
die uns doch überall umgeben.
Wir sind blind für die Gegenwart Gottes, die uns in jedem Menschen
begegnet,
Wir sind blind für die Wunder der Schöpfung, die wir jeden Tag vor
Augen haben.
Unsere blinden Augen aber werden geöffnet durch den Glauben.
Durch den Glauben, dass diese Welt,
der Kosmos und seine Geschöpfe
nicht nur stumpfe Materie sind,
sondern, erschaffene, geliebte und gewollte Lebewesen,
die durch den Geist Gottes ihr Leben und ihren Sinn erhalten
und Gott sich mitten in dieser Welt befindet
und diese durch seine Gegenwart heiligt.
Erst dann schauen und spüren wir die Gegenwart Gottes,
sehen die Zeichen und Wunder und wissen sie zu deuten.
Liebe Schwestern und Brüder,
das furchtbare Erdbeben in Japan mit dem darauf folgenden Tsunami
und der schrecklichen Atomkatastrophe
beschäftigt und ängstigt die Menschen auf der ganzen Welt.
Wie konnte das geschehen, wieso lässt Gott so etwas Furchtbares zu?
Ist es vielleicht sogar eine Strafe Gottes gegen die Hybris und den
Hochmut des Menschen?
Japan als das Symbol des technischen Fortschritts, der westlichen
Zivilisation und der Konsumideologie bietet sich als Projektionsfläche
gut an.
Die kolossalen Atommeiler als Symbol der Herrschaft des Menschen
über die Gewalten der Natur, erinnert so manchen an den Turmbau zu
Babel.
Sollte es wirklich sein, dass Gott hier in seinem Zorn den Menschen
Einhalt gebietet?
Nein, liebe Schwestern und Brüder, spätestens seit dem Leben und
Sterben Jesu ist mir solch ein Gott fremd. Nicht der zornige Gott begegnet mir in Jesus, sondern der mitleidende, der mitfühlende,
der gequälte und gepeinigte Mensch,
der am Kreuz schreit in seiner vermeintlichen Gottverlassenheit
und der dennoch von Gott nicht verlassen ist,
weil er mit ihm mit geht – sogar bis ins Totenreich hinein
und ihn von dort wieder heraus holt.
In jedem verstrahlten Kind, in jedem obdachlos gewordenen
verzweifelten Menschen,
in jedem Opfer von Gewalt und Terror
Aber auch in jeder helfenden Hand und barmherzigen Geste
begegnet uns Gott.
Es gibt keine gottlosen Orte – das ist das Geheimnis des Glaubens.
Und wenn wir die Zeichen sehen und richtig deuten,
dann sollen wir wissen, dass wir nicht die Herren der Natur und ihrer
Gesetze sind,
dass wir nicht die Natur ungestraft ausbeuten dürfen
und sie uns nach unserem Willen formen können,
dass unsere Gier nach Geld und Macht unseren Verstand benebelt
und unser Mitgefühl zerstört,
und dass am Ende unser Leben an einem dünnen Faden hängt, der so
schnell zerreißen kann.
Das sind die Zeichen, die uns gegeben sind.
Aber wir neigen dazu, solche Zeichen schnell wieder zu verdrängen,
zu verharmlosen oder sogar zu leugnen.
Der Ausstieg aus der Atomenergie ist heute ein großes Thema –
gebe Gott, dass wir auch nach den Schrecken dieser Katastrophe,
wenn die Trümmer beseitigt und die Leichen begraben sind,
dass wir uns auch dann noch an die Zeichen erinnern
und unser Denken und Handeln danach richten.
Wenn Erdschollen aufeinander stoßen und dadurch Tsunamiwellen
auslösen, dann können wir niemandem die Schuld dafür geben,
auch nicht Gott,
aber wenn Atomreaktoren explodieren und strahlen,
dann sind wir dafür verantwortlich und haben die Konsequenzen
daraus zu ziehen.
Zeichen für die Notwendigkeit eines sanften Umgehens mit der Natur
gibt es genug.
Es kommt darauf an, sie zu sehen und nachhaltig danach zu handeln.
Öffne uns Gott die Augen, wenn wir so klug und weltmännisch
daherreden wie die Pharisäer und Schriftgelehrten
und nach eindeutigen Beweisen und Zeichen verlangen,
wo doch schon längst die Zeichen gegeben wurden,
öffne uns Gott die Ohren, damit wir das Seufzen der Kreatur hören
und das Stöhnen aller, die Opfer unseres Hochmutes geworden sind.
Gebe er uns die Kraft umzukehren und auszusteigen aus der Spirale
der Gier, der Gewalt und der Erbarmungslosigkeit.
Amen.