Predigt · Epiphanias · 9. Januar 2011 · Pfarrerin Ruth Misselwitz
Matthäus 4, 12 – 17
Liebe Schwestern und Brüder, nun ist das Weihnachtsfest schon
wieder 2Wochen vorbei.
Viele Weihnachtsbäume liegen auf den Strassen
und nur hier und da leuchtet ein Weihnachtsschmuck in den Fenstern.
Sehr unterschiedlich werden die Gefühle sein.
Die einen würden am liebsten diese Tage und Wochen der
Vorweihnachts- und Weihnachtsfreude unendlich lange ausdehnen,
weil es die Familie wieder einmal zusammengeführt hat,
Besinnung und Ruhe eingekehrt ist
und eine kindliche Stimmung der Freude und der Geborgenheit
geschenkt wurde.
Die anderen sind froh darüber, dass es endlich vorbei ist,
weil der Weihnachtsabend wieder einsam und traurig war,
es wieder einmal Streit in der Familie gab
oder die ersehnte Ruhe und Besinnlichkeit ausgeblieben ist.
Was bleibt von diesem Fest, das doch das wichtigste Fest in unserer
christlichen Welt ist?
„Das Volk, das im Finstern wandelt sieht ein großes Licht“
Ja, so hören wir es jährlich in den weihnachtlichen Lesungen,
so versuchen wir es sichtbar zu machen, indem wir Kerzen entzünden,
auf dem Adventskranz, auf den Tischen in unseren Zimmern,
auf dem Weihnachtsbaum am Heiligen Abend.
Weihnachten das Fest des Lichtes – das Fest in der dunkelsten
Jahreszeit.
Davon redet auch unser heutiger Predigttext.
Matth. 4,12-17…….
Als nun Jesus hörte, dass Johannes gefangen gesetzt worden war, zog
er sich nach Galiläa zurück. Und er verließ Nazareth, kam und
wohnte in Kapernaum, das am See liegt im Gebiet von Sebulon und
Naftali, damit erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten
Jesaja, der da spricht (Jes. 8,23; 9,1): „Das Land Sebulon und das
Land Naftali, das Land am Meer, das Land jenseits des Jordans, das
heidnische Galiläa, das Volk, das in Finsternis saß, hat ein großes
Licht gesehen; und denen, die saßen im Schatten des Todes ist ein
Licht aufgegangen.“ Seit der Zeit fing Jesus an zu predigen: Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen.
Der Evangelist Matthäus erzählt uns nach der Geburt Jesu nichts über
seine Kindheit und Jugendzeit.
Er steigt gleich in die Wirkungsphase Jesu ein, als er ein erwachsener
Mann ist.
Und die beginnt mit der schicksalhaften Begegnung der beiden
Männer Johannes dem Täufers und Jesus.
Johannes der Täufer, ein wortgewaltiger Prediger und Prophet
zieht unzählige Menschen in seinen Bann,
in einer Zeit der politischen Unruhen und sozialen Spannungen.
Er predigt mit Donner- und Zornesstimme gegen die Korruptheit der
Mächtigen und die Trägheit der Gläubigen.
Er ruft zur Umkehr – zur Busse – und verkündet die Nähe des Reiches
Gottes, das in seinem Mund eher wie eine Drohung als eine
Verheißung klingt.
Sein Aufenthaltsort ist die Wüste,
er ist ein strenger Asket und ein eifernder Gottesmann,
der sich nur zum Zwecke der Predigt und der Taufe unter das Volk
mischt,
ansonsten sich aber von der Welt fernhält.
Wir wissen, dass sich Jesus von diesem Mann taufen ließ,
ihm wahrscheinlich in die Wüste folgte und anfangs ein Jünger von
Johannes war.
Aber die Wege dieser beider Männer trennen sich.
Johannes der Täufer wird verhaftet
und Jesus kehrt zurück zu seiner Familie nach Galiläa.
Die Wüste – die Abgeschiedenheit, die Einsamkeit –
ist für ihn auf die Dauer nicht der Ort, an den er sich von Gott berufen
fühlt.
Sein Weg ist der Weg in die Welt, der Weg zu den Menschen.
Zuerst kehrt er zurück zu seiner Familie nach Nazareth ,
vielleicht tankt er dort auf,
vielleicht spürt er aber auch, dass er sich dieser seiner Familie entfernt
hat
und nun zu ganz neuen Ufern aufbrechen muss, die Gott ihm zeigt.
Und die zeigt ihm Gott: Er geht nach Kapernaum
gemäß der alten prophetischen Weissagung: „Das Land Sebulon und
das Land Naftali, das Land am Meer, das Land jenseits der Jordans,
das heidnische Galiläa,
das Volk, das in Finsternis saß, hat ein großes Licht gesehen;
und denen, die saßen am Ort und im Schatten des Todes
ist ein großes Licht aufgegangen.“
Der Evangelist Matthäus weiß die alten heiligen Schriften mit dem
Leben Jesu gut zu verbinden – er sieht in Jesus den Mann, der diese
Prophezeiungen erfüllt hat.
Jesus geht zu denen, die in Finsternis sind,
die am Ort und im Schatten des Todes leben.
Und ihnen wird er zum Licht – ihnen predigt er von der Umkehr,
der Umkehr von dem Weg des Todes hin auf den Weg zum Leben.
Ihnen predigt er von der Nähe des Reiches Gottes –
nun aber nicht als Drohung,
sondern als Erlösung, als Befreiung und große Freude,
wie es die Engel den Hirten verkündet haben.
Und da geht ihnen ein Licht auf.
Aus den Kindern der Finsternis werden Kinder des Lichts.
Liebe Schwestern und Brüder,
das ist von Weihnachten geblieben,
Gott wendet sich mit seiner frohen Botschaft in erster Linie an die,
die die Finsternis droht zu ersticken.
Er verspricht all denen seine Gerechtigkeit und seinen Frieden, die unter der Ungerechtigkeit und der Friedlosigkeit dieser Welt zu
leiden haben.
Zu ihnen geht Jesus und predigt:
„Tut Busse, denn das Himmelreich ist nahe herbei gekommen.“
Warum aber zu denen, die doch nichts tun können,
die doch ohnmächtig der Willkür und der Interessen der Mächtigen
ausgeliefert sind?
Soll er doch zuerst zu denen gehen, die die Ungerechtigkeit, die
Kriege, die Armut, den Hass und den ganzen Schlamassel dieser Welt
zu verantworten haben,
soll er doch denen das Handwerk legen
und mit starker Hand sie zu Fall bringen.
Wieso geht er ausgerechnet zu denen, die so ohnmächtig und so klein
sind?
Ja, er geht zu ihnen, weil sie so ohnmächtig und so klein sind,
weil sie so hilflos und so hoffnungslos sind,
weil sie so gebeutelt und so verachtet sind.
Er geht zu ihnen, weil er sie aus dem Ort des Todes hin zu dem Ort
des Lebens bringen will.
Aber sie müssen sich dazu auch rufen lassen,
aufstehen, sich erheben,
Umkehr tun, den Pfad der Gebeugten, der Leidenden verlassen,
den Weg der Resignierten, der Zyniker, der Fatalisten endlich
aufgeben,
die Philosophie der egoistischen Freiheit, der Rücksichtslosigkeit, der
Macht und Stärke gründlich in Frage stellen
und einen neuen Weg einschlagen.
Und dann werden aus den Gebeugten die Aufrechten,
aus den Opfern werden Menschen, die ihr Schicksal selbst in die Hand
nehmen,
aus den Verachteten werden die Geachteten,
aus den Ratlosen werden die Hoffnungsträger,
die wieder Visionen haben für eine Gesellschaft,
in der die Nähe des Reiches Gottes zu spüren ist
und die von Gottes Gerechtigkeit und von seinem Frieden gespeist
wird.
Liebe Schwestern und Brüder,
wenn heute vielerorts darüber nachgedacht wird, was wohl eine
„christliche Kultur“, oder ein „christliches Leitbild“
in einer Welt der vielen Religionen und Weltanschauungen bedeuten
könnte,
dann können wir nur immer wieder auf diese alten Texte schauen
und dann erkennen wir es:
Diejenigen, die in Finsternis sind,
die im Schatten des Todes leben,
die am Rande einer Gesellschaft leben,
die verachtet und verstoßen sind,
die sind die Adressaten dieser frohen Botschaft der Engel.
Nach diesem Leitbild hat sich eine Kirche, die sich christlich nennt
und auch eine Partei, die sich christlich nennt,
zu richten.
Und wenn die Ärmsten der Gesellschaft dafür bezahlen müssen,
dass sich Banker an der Börse verzockt und Milliarden in den Sand
gesetzt haben,
dann ist das alles andere als christlich.
Wenn HarztIV-Empfängern nun auch noch das
Elterngeld gestrichen wird,
nachdem sie das Kindergeld sowieso nicht bekommen haben,
wenn den Reichen keine gerechten Steuern abverlangt werden,
den Normalverbrauchern aber wieder höhere Kranken- und
Sozialbeiträge abverlangt werden,
wenn die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter
auseinanderklafft,
dann entspricht das nicht dem christlichen Leitbild.
Dann ist alles Gerede von jüdisch-christlicher Kultur,
die angeblich unser christliches Abendland prägt,
pure Heuchelei
und nur als Abgrenzungsstrategie gegen andere Religionen und
Kulturen zu entlarven.
Die Zuwendung Jesu galt den Mühselig und Beladenen,
denen die keine Achtung mehr vor sich selbst haben,
weil ihnen keine Achtung mehr entgegengebracht wird.
Der Sohn Gottes hat sich ihnen zugewandt
und ihnen Achtung und Liebe geschenkt.
Lassen wir uns in seine Nachfolge rufen!
Der Geist Gottes stärke und kräftige uns dafür
von nun an bis in Ewigkeit.
Amen.