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Meditation · 2. Sonntag nach dem Christfest · 2. Januar 2011 · Pfarrer i.R. Lorenz Wilkens

Posted on Jan 10, 2011 in Predigten

Psalm 138

Danken will ich dir mit all meinem Herzen, / ich will die Harfe spielen vor Gott.

Liebe Gemeinde,


mit diesen Worten beginnt der Psalm dieses Sonntags; es ist gut, mit ihnen das neue Jahr zu eröffnen – dem Dank an Gott. Das hebräische Wort für ‚danken’, jadah, bedeutet ursprünglich ‚ niederlegen’. ‚Ich will danken’, das heißt mithin: Ich will mich auf mich auf selbst besinnen, ich will in mich hineinsehen. Im Zentrum meines Bewußtseins finde ich einen Gedanken vor, der besagt: Dein Geist zeigt zu Gott hinüber. Er will zu ihm hinübergehen, er wird von ihm angezogen. Ich will mich seiner Kraft nicht widersetzen, will mich nicht unempfindlich gegen ihn stellen. Ich will meinen Geist zu Gott hinübergehen lassen und will ihn ihm zu Füßen legen. Er ist meines Lebens Kraft. Ich will vor dem Herrn ein Wort niederlegen -: Ich will anerkennen, daß ich nicht allein aus mir lebe, sondern aus ihm. Diese Anerkennung ist eine Wohltat. Denn sie durchkreuzt meine Lebensangst, die Angst, die von der Erfahrung, daß meine Kräfte begrenzt sind, hervorgerufen wird. Meine Kräfte s i n d begrenzt; aber ich erinnere mich an die Zeiten, in denen ich ganz erschöpft war und glaubte, nicht weiter gehen und handeln zu können, und auf einmal trat eine Wendung in der Situation oder in meinem Bewußtsein ein; eine neue Aussicht, neue Kraft erschloß sich mir, als wenn sich der Vorhang der Wolken vor dem Himmelslicht geöffnet hätte. Eine neue Wendung der Situation: Ein Mensch suchte mich auf und nahm unbefangen, ungebrochen meine Aufmerksamkeit in Anspruch – und es ging, ich konnte ihm entsprechen. Oder eine Wendung in meinem Bewußtsein: Wo sich vorher die Vorstellungen von einzelnen Dingen aufeinander häuften, Dingen, die miteinander nicht verbunden und ohne Transzendenz waren, ohne die Kraft, über sich hinauszuweisen auf einen Sinn, einen Willen, der sie umfaßte, erscheinen sie auf einmal wie geordnet zu einer Landschaft, mit Gleichgewicht und stimmigen Verhältnissen, als hätte der Geist Gottes sie aufgesucht und neu gedeutet und geordnet. Dann atme ich auf, und empfinde meinen Geist neu: Ich empfinde, wie es ihn zu Gott hinüberzieht, ich empfinde Dank.


Darnach heißt es in dem Psalm: „Und ich will die Harfe spielen vor Gott.“ Wie ich fühle, daß mein Bewußtsein sich öffnet, aus sich hinausgehen und sich mit meiner Umgebung verbinden will, suche ich nach einem Mittel, diese Öffnung auszudrücken. Welches wäre geeigneter als die Musik? „Ich will die Harfe spielen vor Gott.“ Ich kann die Musik nicht aufnehmen, ohne an Bewegung zu denken – körperliche Bewegung, Tanz, und Bewegung der Gedanken, die in ihrem Bewegungsdrang ihr Ziel erkennen – sie richten sich an Gott. Ihr Inhalt kommt bei ihm nach Hause. Er läßt sie widertönen, er gibt sie mir zurück, geklärt und in haltbarerer Gestalt, so wie die Musik ein Echo findet und hin und wider tönt, bis sie den ganzen Raum erfüllt, ihn ausmacht, und seinen Sinn zu Tage bringt, der sich alsdann mit meinen Gedanken austauscht, doch fühlbar nicht allein für mich, sondern auch für andere, so daß ein Raum für die gemeinsamen Gedanken entstehen kann, ein sozialer Denkraum.


Darnach heißt es:


Hingestreckt zum Tempel deines Heiligtums, / Dank’ ich deiner Güte, deiner Treue.


Liebe Gemeinde, es gibt einen öffentlichen Raum, der dem Dank an Gott gewidmet ist, die Kirche. Es ist gut, daß wir uns zu Beginn des neuen Jahres auf ihn besinnen. Wir wollen ihn verteidigen, denn er ist nützlich, er ist eine Wohltat für uns. Wir verteidigen ihn vor den ängstigenden Suggestionen des geist- und willen-, zweck- und endlosen Betriebs, als der die Gesellschaft uns oft erscheinen mag, so daß wir uns fragen, wozu unsere Gedanken über Hoffnungen und Pflichten, wenn sie von diesem Betrieb entweder folgenlos verschluckt oder folgenlos übersehen werden. Wir verteidigen den öffentlichen Raum, in dem unsere Gedanken sich sammeln und im Dank zu Gott hinüber deuten, hinüber gehen können. Dadurch gewinnen wir Freiheit. Denn es heißt weiter im Psalm:


Ruf’ ich dir, und du erhörest mich:/ O so weckst du kühnes Selbstgefühl in mir.

Du, o Gott, bist der Urheber unserer Freiheit; du leihst ihr deine Macht. Und die Entdeckung der Freiheit isoliert uns nicht, sie verbindet uns miteinander. Es geschieht oft, daß wir uns isoliert erscheinen und die Gesellschaft in die Individuen als in ihre Atome zersplittert. Aber dann erscheinen wir uns ganz machtlos, bedeutungslos, ausgeliefert wie ein Kiesel dem Wasser, das ihn davonträgt. Allein dieser Zustand ändert sich, wenn wir den Herrn anrufen, wenn wir dem Drang unserer Gedanken nachgeben, zu dem lebendigen Gott hinüberzugehen. Dann, sagt der Psalm, antwortet Gott. Er bestätigt unsere Gedanken. Es sind nicht nur flüchtige Reflexe, deren Geltung auf die kurze Dauer ihrer Aktualität beschränkt wäre. Sondern sie sind Sprache, sie fügen sich zu einem Sinnzusammenhang zusammen, der der Gesellschaft als ein Anspruch gegenübertritt: Auch sie soll, sie kann ein sinnvoller Zusammenhang sein. Sie ist nicht bei sich, solange noch der Eindruck vorherrscht, man müsse, um in sie integriert zu werden, den Gedanken an einen Sinn des Ganzen aufgeben. Solange dieser Eindruck besteht, ist die Gesellschaft noch nicht bei sich. Aber die Kirche ist schon da, sie ist immer noch da, sie ist der öffentliche Raum, in dem die Gemeinsamkeit der Gedanken, aus denen das soziale Leben entsteht, wiedergefunden werden kann. Darum lohnt es sich, die Kirche zu verteidigen.

Und endlich:

Dir sollen danken alle Könige der Erde, denn sie haben die Worte deines Mundes gehört.


Auch die Staaten sollen dahin kommen, dem Herrn zu danken. Der Gedanke ist uns nicht nah und weckt unsere Skepsis. Können die Staaten das? Können sie Gott danken? Werden sie nicht daran gehindert durch das Gefühl der ewigen Unverläßlichkeit ihrer Macht, und ihrer geradezu dämonischen Zweideutigkeit? Allein der Psalm mutet es ihnen zu. Ja, auch die Staaten können zu der Besinnung kommen, die die Gedanken der Menschen zu Gott als ihrem Ursprung hinüber gehen läßt. Sie können dadurch zum Rahmen eines sozialen Denkraums werden. Wir sollen und können es auch für unseren Staat nicht ausschließen; wir haben dergleichen auch schon erlebt – daß die Repräsentanten des Staates plötzlich mit der Grenze seiner Macht konfrontiert und dadurch in die Lage versetzt werden, ihrer eigentlichen Aufgabe zu genügen, ja, sie erst wiederzufinden: den Geist des Volkes zu repräsentieren. Ich erinnere in diesem Sinne an den Kniefall Willy Brandts vor dem Mahnmal des Warschauer Ghettos. Es gibt immer wieder diese Möglichkeit, und auch diese Einsicht stärkt unseren Mut, es mit dem neuen Jahr aufzunehmen.


Ich schließe wie der Psalm:


Der Herr führts wahrlich aus für mich. / Ach, Herr, ewig währet deine Güte! / Laß nicht unvollendet / Deiner Hände Werk. Amen.