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Predigt · Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres · 14. November 2010 · Pfarrerin Ruth Misselwitz

Posted on Nov 24, 2010 in Predigten

Römer 8, 18 – 25

18 Ich bin überzeugt, dass das Leiden, das wir jetzt! zum
gegenwärtigen Zeitpunkt erfahren, im Schein der göttlichen
Klarheit, die sich an uns offenbaren wird, sein Gewicht verliert.
19 Die gespannte Erwartung der Schöpfung richtet sich darauf,
dass die Töchter und Söhne Gottes offenbar werden. 20Denn
die Schöpfung ist einem Zustand der Gottesferne unterworfen,
in dem nichts mehr Bestand hat – nicht aus freier
Entscheidung, sondern gezwungen von einer sie
unterwerfenden Macht. Sie ist aber ausgerichtet auf Hoffnung,
21 dass auch die Schöpfung selbst aus der Versklavung durch
die Korruption befreit werde, befreit in die in göttlicher Klarheit
aufscheinende Freiheit der Gotteskinder. 22Wir wissen, dass
die ganze Schöpfung mit uns gemeinsam stöhnt und mit uns
zusammen unter den Schmerzen der Geburtswehen leidet –
bis jetzt! 23Denn nicht nur sie allein stöhnt, sondern auch wir,
die wir schon die Geistkraft als ersten Anteil der Gottesgaben
bekommen haben, wir stöhnen aus tiefstem Innern, weil wir
sehnlich darauf warten, dass unsere versklavten Körper
freigekauft und wir als Gotteskinder angenommen werden.
24Weil wir hoffen, sind wir gerettet. Aber eine sichtbare
Hoffnung ist keine Hoffnung. Denn welche Hoffnung hat
Bestand im Blick auf das Sichtbare? 25Wenn wir auf etwas
hoffen, das wir nicht sehen können, so gibt uns unser
Widerstand die Kraft, darauf zu warten.


Übersetzung: Bibel in gerechter Sprache


„Mach End, o Herr, mach Ende mit aller unsrer Not; stärk unsre
Füß und Hände und laß bis in den Tod uns allzeit deiner Pflege
und Treu empfohlen sein, so gehen unsre Wege gewiß zum
Himmel ein.“


Liebe Schwestern und Brüder,

dieser letzte Vers aus dem Lied
„Befiehl du deine Wege“ von Paul Gerhard 1653 gedichtet,
fiel mir sofort ein, als ich diesen Text las.


Aus ihm klingt so wunderbar und einfältig die Sehnsucht nach
Erlösung –
nach Erlösung aus all dem Elend, das auf dieser Welt lastet.


Vor dem Hintergrund des 30jährigen Krieges
mit seinen Pest- Cholera- und Hungersnöten,
der die Bevölkerung von Europa auf mehr als die Hälfte reduziert hat,
sehnt sich der Dichter nach einem Ende dieser Qual.


Und er ist der guten Hoffnung dass sich alles am Ende zum Besten
kehrt,
und er direkt in den Himmel geführt wird.


Im Frühjahr des gleichen Jahres kann Paul Gerhard aber ebenso
insbrünstig wie freudig singen:
„Geh aus mein Herz und suche Freud in dieser lieben Sommerzeit an
dieses Gottes Gaben. Schau an der schönen Gärten Zier und siehe, wie
sie mir und dir sich ausgeschmücket haben.“


Beides – das Leid und die Freude,
die Sehnsucht nach Erlösung aus diesem Elend
wie auch die Freude über die Schönheit der Schöpfung,
beides kann Paul Gerhard neben einander stehen lassen und gänzlich in seine Seele aufnehmen.


Am Ende aber weiß auch er um die Vergänglichkeit aller irdischen
Freuden und hofft auf Erlösung.


Angst vor diesem Ende, oder vor einem strafenden Gott im Gericht
finden wir in seinen Liedern nicht.


Er weiß sich geborgen in den schützenden Händen Gottes im Leben
wir im Sterben.


Liebe Schwestern und Brüder, so mag es wohl auch Paulus gegangen
sein, als er diesen Brief an die Gemeinde in Rom schrieb.


Auf seinen unermüdlichen Reisen durch die Welt
hat auch Paulus Leid und Elend, Verfolgung und Hunger,
Krieg und Ungerechtigkeit gesehen und am eigenen Leibe erlitten.


„22Wir wissen, dass die ganze Schöpfung mit uns gemeinsam stöhnt
und mit uns zusammen unter den Schmerzen der Geburtswehen leidet
– bis jetzt! 23Denn nicht nur sie allein stöhnt, sondern auch wir“


Was für einen großherzigen und weiten Blick Paulus da hat.


Er hört nicht nur das Seufzen der Menschen – nein er hört auch das
Seufzen der ganzen Schöpfung –
der Tiere und Pflanzen, Meere und Kontinente,
ja des ganzen Universums mit Sonne Mond und Sternen –
der sichtbaren und unsichtbaren Welt.


Alles leidet unter den Schmerzen der Geburtswehen.


Geburtswehen, ja liebe Schwestern und Brüder, Paulus benutzt dieses
Wort,
Geburtswehen aber sind auf Hoffnung orientiert,
auf ein freudiges Ereignis, auf einen Durchbruch von einer Welt in die
andere.


Wer eine Geburt erlebt hat,
die Schmerzen und Ängste der Mutter
und dann das Neugeborne in den Armen hält,
der sieht in den Augen dieses Kindes noch das Erschrecken und das
Staunen über diese neue Welt.


Wer einen Menschen im Sterben begleitet hat,
der weiß auch um die Ängste und Schmerzen, die solch ein Sterben
begleitet,
am Ende aber sehen wir auch das friedliche Gesicht,
das zurückgeblieben ist,
während die Seele durch das Tor des Todes hindurchgegangen ist in
eine andere Welt.


Geburt und Tod – beide sind mit Geburtswehen verbunden – beide
sind auf Hoffnung ausgerichtet.


Der Apostel Paulus ist von der Hoffnung ausgegangen, dass noch zu
seinen Lebzeiten Jesus Christus wieder kommen und die Erde erlösen
wird.


Diese Hoffnung ist letztendlich für ihn in Erfüllung gegangen
und für alle, die ihm voran- und nachgegangen sind in diese andere
Welt,


aber nicht für diese irdische Welt.

Trotzdem ist diese Hoffnung nie erloschen.


Und wenn wir auch heute noch auf die Erlösung der ganzen
Schöpfung warten,
dann glauben wir doch, dass der Tod wenigstens uns
von dieser Welt erlösen wird
und Eingang gewährt in Gottes eigene Welt,
die frei ist von Leid und Schuld.


Liebe Schwestern und Brüder,
krankhafte Todessehnsucht,
Vertrösten auf´s Jenseits oder auch Weltflucht
hat man diesem Glauben in der Geschichte immer wieder und
manchmal auch mit Recht vorgeworfen.


Zu einem Leben im Bewusstsein seines Endes aber gehören ebenso
dazu:


Die Freude über diese Welt und das mir geschenkte Leben,


die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen für die von Gott
gestellten Aufgaben,


der Wille, ein Leben zu führen, das sich orientiert an dem Leben
Jesus, in Hingabe und Liebe an Gott und den Menschen,


die Dankbarkeit über die Menschwerdung Gottes in dem Menschen
Jesu
und die daraus sich ergebende Heiligsprechung dieser Welt


und das Trachten nach dem Willen Gottes und nach seiner
Gerechtigkeit –


all das ist uns zur Aufgabe gestellt worden hier und jetzt,
gestern, heute und morgen.


Bei alldem aber dürfen wir auch unsere Begrenztheit akzeptieren,
unsere Schwachheit im Lieben und Mitleiden,
unsere Blindheit gegenüber anderen und uns,


unsere Kraftlosigkeit im Tun und Wirken,


unsere Verstrickung in Schuld und Versagen.


Auch das hat einmal ein Ende –
das zu begreifen eröffnet eine neue Dimension in unserem Leben.


Und dass wir hier in dieser Welt nicht alleine und ohne Hilfe sind,
dafür ist Gott in Jesus Christus in diese Welt gekommen
und Mensch geworden.


Er geht an unserer Seite,
hält uns, wenn wir stolpern,
richtet uns wieder auf, wenn wir gefallen sind
und gibt uns wieder neuen Mut, wenn uns die Hoffnung verlässt.


Liebe Schwestern und Brüder,
ein Leben und ein Sterben unter dem Schutz der göttlichen Mächte –
das wünsche ich uns allen, die wir hier versammelt sind.
Amen.